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Sonntag, 22. Januar 2012

"Öko" ist neuer Trend der Selbstverwirklichungsgesellschaft

Branchenriesen entdecken den Nischentourismus - oder tun sie nur so?

Das Interesse an umweltfreundlichen und sozialverträglichen Urlaubsreisen steigt. Auch große Veranstalter sind längst auf den Öko-Urlaub gekommen. Wer es sich leisten kann, zahlt freiwillig Klimakompensationen oder rettet in den Ferien Schildkröten.
Wenn die Bundesbürger in diesen trüben Januartagen Reisekataloge durchstöbern, entdecken sie immer häufiger Angebote, die mit einem nachhaltigen, fairen oder gesunden Urlaub werben. Öko-Urlaub, bislang eher eine winzige Nische im gigantischen Reisemarkt, liegt zunehmend im Trend. Neben Thomas Cook, Rewe-Touristik und Neckermann schwimmt auch Branchenprimus TUI bei dieser Welle ganz vorne mit und lockt für den Sommer mit der jungen Produktlinie "Viverde". Das TUI-Versprechen auf den in zarten Farben gehaltenen Anzeigen lautet schlicht: "Natürlich erholt".

Alternative zum Massentourismus? Lange Zeit war nachhaltiger Tourismus eine Spezialität kleiner und mittelständischer Reiseveranstalter. Zwölf von ihnen gründeten 1998 das "forum anders reisen", um Alternativen zum Massentourismus anzubieten, der für zersiedelte Landschaften, gewaltige Müllberge, Ressourcenverschwendung und die Ausbeutung einheimischer Arbeitskräfte steht. Die Mitglieder im "forum anders reisen" verpflichten sich zur Einhaltung strenger Umwelt- und Sozialstandards, die von der Zertifizierungsgesellschaft TourCert regelmäßig überprüft werden. Aktuell hat das "forum anders reisen" 124 Mitglieder, die für rund 100.000 Menschen jährlich einen verantwortungsvollen Urlaub organisieren.

Nun gibt es dafür ein weiteres Gütesigel, das CSR-Siegel. Es steht für Corporate Social Responsibility, also Unternehmerische Sozialverantwortung und beschreibt das Verhalten von Wirtschaftsunternehmen, die über gesetzlich geregelte Anforderungen hinausgehende Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten. Für den Tourismus hat die Stuttgarter Zertifizierungsgesellschaft TourCert gemeinsam mit dem forum anders reisen CSR-Standards entwickelt, die laut Stiftung Warentest (Juli 2011) für die Branche vorbildlich sind.

Wer den Ansprüchen bei Menschenrechten, Arbeitsbedingungen, Gesundheits- und Umweltschutz nicht nachkommen kann, verliert das CSR-Tourism-Siegel. 18 Reiseveranstalter mussten deshalb Ende 2011 das "forum anders reisen" verlassen.

Der Umsatz lag 2010 bei 117 Millionen Euro - marginal im Vergleich zum Reiseriesen TUI, der im Geschäftsjahr 2010/11 ein Ergebnis von 17,5 Milliarden Euro erzielte. Aber die Nachfrage nach Ökourlaub steigt: "Rund 40 Prozent unserer Urlauber interessieren sich für Umweltschutz im Urlaub", sagt Harald Zeiss, bei TUI verantwortlich für Nachhaltigkeit. Die Marketingabteilung des Konzerns hat die "Naturaktiven" als neue Zielgruppe ausgemacht. Das Hotelkonzept "Viverde" ist speziell für sie konzipiert. "Hohe Umweltstandards bei Unterkunft und Verpflegung, eine gesunde, regionale Küche und Entspannung im Wellnessbereich", sind laut Zeiss die Urlaubswünsche der naturaktiven Paare, Singles und Familien zwischen 30 und 69 Jahren.

Die größte Hürde für einen Öko-Urlaub bleibt indes die Anreise: Das Hotel vor Ort mag in Sachen Umweltschutz und sozialer Verantwortung noch so vorbildlich sein - wenn es auf den Malediven steht, führt am klimaschädlichen Langstreckenflug kein Weg vorbei. In vielen Reisekatalogen gibt es deshalb die Möglichkeit, über eine freiwillige Spende eine Kohlendioxidkompensation zu leisten.

Der größte Anbieter atmosfair verbuchte 2010 Spenden in Höhe von 2,4 Millionen Euro, 2011 waren es schon rund drei Millionen Euro. Umfragen zufolge sind aber nur etwa acht Prozent der Bundesbürger bereit, für ihre Flugreise freiwillig mehr zu zahlen, damit irgendwo Wälder aufgeforstet werden.

Bäume pflanzen statt Bettenbunker: Wer nicht bloß mit einem unbeschwerten Gewissen verreisen, sondern richtig mit anpacken möchte, kann selbst das: Volunteering oder neudeutsch Voluntourismus heißt der neueste Trend, der Urlaub und Mitarbeit in Umwelt- oder Sozialprojekten verbindet. So schickt der Reiseveranstalter FTI seine Kunden nach Hawaii, wo sie während einer Rundreise Schildkröten schützen, Strände säubern oder Bäume pflanzen können. "Unseren Gästen ist es wichtig, in Kontakt mit ihrem Urlaubsland und dessen Bewohnern zu treten", erläutert Geschäftsführerin Heike Niederberghaus den endgültigen Gegenentwurf zur Pauschalreise im Bettenbunker. Zwischen und zwei- und dreitausend Euro kostet der 17-tägige Haiwaii-Trip - ohne Flug. Öko ist der neue Reiseluxus.

Aber Vorsicht ist geboten: Ähnlich wir bei der Inflation des Begriffs "Bio" für Lebensmittel, dürfte das Surfen auf der Trendwelle für die Reiseveranstalter auch nur ein Aurgument der Verkaufsförderung sein, um zugleich einer selbstverliebten, saturierten Gesellschaft zu einem guten Gewissen verhelfen. Ute Linsbauer vom "forum anders reisen" sieht besonders soziale Projekte mit gemischten Gefühlen: "Was zunächst als tolles und sinnvolles Engagement wirkt, kann auch schaden. Freiwilligeneinsätze können die Menschen vor Ort ihrer Eigenverantwortung berauben, sie zu passiven Hilfsempfängern degradieren - oder gar den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen." Man sollte sich also genauestens über die Rahmenbedingungen informieren, ehe man eine solche Reise bucht.


(Nach einem Beitrag von von André Madaus)

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