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Donnerstag, 3. November 2011

Der zwanghaft betreute Gast

Qualität ist im Servicemanagement wichtig und im komplexen Tourismus mit seinen langen Leistungsketten mit vielen eigenwilligen Leistungsträgern ganz besonders. Wenn kleine Gemeinden oder Regionen anfangen, den Tourismus für sich zu entdecken - oder verwechseln sie es vielleicht mit Standortmarketing oder politischer Imagewerbung? - dann führt das mitunter zu merkwürdigen Stilblüten. Gut ausgebildete junge Tourismusmanager übertragen ihr frisches Lehrbuchwissen dann mit Engagement auf jeden Standort: was für Mallorca, Paris oder Salzburg recht ist, ist doch für Bellheim billig. Ach so, wo war das nochmal? Bisher hat sich kein Tourist hierher verlaufen, aber jetzt ist er als Objekt der Begierde genau definiert, das Themenmarketing baut auf mehreren Säulen auf und wird international beworben. Ein Leser der Tageszeitung DIE RHEINPFALZ, erscheinend zwischen Ludwigshafen/Mannheim und Karlsruhe, bringt es in seinem Leserbrief auf die vollmundigen Marketingankündigungen seiner kleinen Heimatgemeinde auf denPunkt: 

 "Fühle mich ohne Betreuung wohl"Leserbrief vom 03.11.2011 zur RHEINPFALZ vom 28.10.2011:
"Tourismus Bellheim: Gruppe der Ü 50er auf drei Säulen betten"
Hurra, man kümmert sich um mich, ich werde in Bellheim von einer neuen Expertin hochkarätig touristisch bedient. Zwei Säulen, Natur und Genuss, türmen sich vor mir auf, zur dritten darf ich mich zählen, ich der Mensch über 50, engagiert, esse in Speiselokalen, trinke Bier und ergehe mich in der Natur, wo Frau Fuchs und Herr Hase mir auf ebenen Rad- und Wanderwegen begegnen und ich nächtens von unserem so teuer geschenkten Sternenbeobachtungszentrum nach weiteren "Glanzlichtern" der Gemeinde Ausschau halten kann. Auf den Messen in Karlsruhe, Stuttgart, Düsseldorf und anderswo will sie nach Opfern fahnden, damit sie die touristischen Höhepunkte in Bellheim erkunden sollen. Ein touristisches Notstandsgebiet wird zum potemkinschen Dorf hochstilisiert, in dem Blumenkörbchen in Giraffenkopfhöhe zu Suchobjekten werden, unendlich viele Hinweisschilder ihr Eigenleben führen, galgenartige Konstruktionen an den Dorfeingängen mich und andere willkommen heißen, der einst mit viel Geld gestaltete Denkmalweg sich zu einer Offroad-Übungsstrecke gemausert hat, und nicht zu vergessen die neuen Fischtreppen, die nach Aussagen von Einheimischen - "Wer hotn' do schun än Fisch gsähne" -zum heiteren Fischesuchen einladen. AIs Augenlabsam und Anlaufpunkt das bonbonfarbene Rathaus; in dem das 40-jährige Verbandsgemeindejubiläum ausgebrütet wird, das genauso unnötig ist wie eine touristische
Pseudobetreuung. Wohlgemerkt, ich fühle mich wohl in Bellheim, auch ohne diese Betreuung.


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