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Freitag, 8. Juni 2012

Soziale Prävention durch Partizipation (1)

Veröffentlichung für den Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen in der Monatszeitschrift "Städte- und Gemeinderat" von Prof. Dr. Wolfram Schottler. 

Gerade in Zeiten knapper Kassen benötigen die unterschiedlichen Sozialräume einer Stadt Unterstützung zur Prävention von sozialem Niedergang, die am besten durch moderierte Bürgerbeteiligung geleistet werden kann.

Teil 1: Urbanes Leben ist zu einem äußerst komplexen und heterogenen sozialen Gefüge geworden, in dem unterschiedlichste Identitäten und Lebensformen einander begegnen. Grundlagen des funktionierenden Gemeinwesens sind Identifikation, Werte und Regeln des Zusammenlebens, soziale Interaktion und die gemeinsame Verfolgung von Entwicklungszielen. Dafür sind Großstädte aber oft zu unübersichtlich geworden und die gesellschaftliche Solidarität nimmt ab. Die Folgen sind oft dramatisch und belasten das Sozialwesen erheblich. Die Konzeption und Moderation kleinteiliger Entwicklungsprojekte zur Aktivierung von bürgerschaftlichem Engagement in lokalen Entwicklungsprojekten verfügt über eine nachhaltige soziale Präventionswirkung.  Jedes Gemeinwesen besteht aus verschiedenen Sozialräumen, unter denen kommunale Lebensräume verstanden werden, die charakteristische kulturelle und soziologische Eigenschaften besitzen. Sie vereinigen unterschiedliche Lebensbedingungen und Lebensformen und prägen soziale Milieus, in denen Menschen lokal oder regional zusammenleben. Es handelt sich also um Lebensräume, in denen sich alle gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse widerspiegeln. Die Bevölkerungszusammensetzung, die vorhandene Infrastruktur im Bereich der Wohnbebauung, zum Arbeiten, Einkaufen, für Freizeit, Sport, Kultur und Gastronomie oder Veranstaltungen bestimmen wesentlich über das Image und den Lebenswert dieses Raumes, über die in ihm wirkenden Kulturen, Work-Life-Balance, Freizeitgestaltung und soziale Interaktion mit.
Lebenswert geht verloren
Angesichts der jahrelangen Sparmaßnahmen in öffentlichen Haushalten ist es um viele Sozialräume in Städten derzeit nicht gut bestellt. Hinzu kommen gesellschaftliche, arbeitsmarkt- und sozialpolitische sowie demographische Bedingungen, die wie der Wettbewerbsdruck zwischen Standortenals Beschleuniger einer gefährlichen Sozialentwicklung wirken. Abbau von öffentlichen Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Verlust von wohnortnahem Arbeiten und Einkaufen, Entstehung seelenloser Schlafstädte und die Tendenz zu zunehmender sozialer Abgrenzung zwischen Bevölkerungsgruppen (soziale Ghettoisierung) lassen ganze Stadtviertel ihren Lebenswert und ihr Image verlieren. Die Perspektivlosigkeit verstärkt sich, wo die Strukturen für bürgerschaftlichen Dialog, sozialen Zusammenhalt, Identitätsgefühl mehr bestehen und Regionalkultur verloren geht. Beispiele zeigen, dass dadurch eine Abwärtsspirale nach der Broken-Windows-Theorie in Gang gesetzt werden kann: die weitere Entsolidarisierung, infrastrukturelle Verkarstung, Rückzug von öffentlichen Dienstleistungen, sinkende Wirtschaftskraft, steigende Transferleistungen, höhere Kriminalität und nicht mehr kontrollierbare Parallelgesellschaften sind Folgen, die das gesamte Stadtimage mitprägen.

Erdrückende Sozialkosten
Insbesondere in Städten mit struktureller Lücke zwischen hohen Sozialkosten und geringer Wirtschaftskraft eskaliert das Problem. „Gammeliger Westen, strahlender Osten: Bürgermeister klagen über den Verfall ihrer Städte und den Luxus im Osten“ titelte kürzlich die Welt am Sonntag und DER SPIEGEL diskutierte, welche Gruppen in welcher Form wo in Deutschland noch „Heimat“ empfinden. Der einstige Nachholbedarf für den Wiederaufbau ostdeutscher Städte hat sich mittlerweile vielfach zu Vorsprung gegenüber den westdeutschen Kommunen entwickelt. Obwohl die sozialen Lasten durch gestiegene Bevölkerungszahlen sowie Migration, Arbeitslosigkeit, wirtschaftlichen Strukturwandel deutlich gestiegen sind, wurden im Westen notwendige Strukturreformen und Infrastrukturinvestitionen häufig aufgeschoben worden. Auch im Bereich der Sozialraumentwicklung wurde gespart: dem gesellschaftlichen Wandel entsprechende wichtige identitätsbildende Maßnahmen zur Förderung von Kultureinrichtungen und -veranstaltungen, Soziokultur, Sportinfrastruktur, oder Vereinsaktivitäten sowie Stadtbildpflege wurden minimalisiert. 
Diese Entwicklung ist riskant, weil sie Grundelemente des zivilisierten Zusammenlebens und den Lebenswert einer Kommune schwächen. Es genügt nicht, gute Wirtschaftsförderungs­bedingungen, Verkehrsinfrastruktur, Umweltzonen, Bildungseinrichtungen, schnelles Internet oder Kinderbetreuungen für sorglose Berufstätigkeit der Eltern vorzuweisen – gerade für die Generation Facebook ist angesichts von Trends wie Entgrenzung der Arbeit, Auflösung der Familienstrukturen oder gesellschaftlicher Singularisierung die Verfügbarkeit von klassischen sozialen Netzen und Kommunikationsmöglichkeiten in einem bürgerlichen „Heimatkietz“ von hoher Bedeutung für das reale Leben.
Lösung in kleinen Einheiten
... Fortsetzung folgt




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